Dissertations- und Habilitationsprojekte

Dr. Torsten Cress

Zusammenfassung des Dissertationsprojekts (abgeschlossen)

Sakrotope - Die materielle Dimension religiöser Praktiken

Mit dem Begriff des „Sakrotops“ vertritt das 2015 abgeschlossene Dissertationsprojekt eine Sicht auf Religion als materiell konstituiertes Vollzugsgeschehen. Anschließend an die Forschung zur Material Culture of Religion und an die soziologischen Praxistheorien fragt das Projekt nach der materiellen Dimension und Konstitution religiöser Praktiken. Am Beispiel katholischer Glaubensvollzüge, die durch eine vielgestaltige materielle Kultur - Heiligenbilder, ›wundertätige‹ Medaillen, Marienfiguren, heilendes Wasser, Gebetsketten Kruzifixe und vieles mehr - geprägt sind, arbeitet das Projekt heraus, wie solche Dinge in den Vollzug religiöser Praktiken involviert werden, wie sie diese Praktiken ermöglichen, mit hervorbringen und tragen, was sie im Rahmen dieser Praktiken leisten und wie sie an ihrer Stabilisierung und Weitergabe beteiligt sind. Wie, so wird etwa gefragt, erleichtert eine Gebetskette die Evokation bestimmter Vorstellungen und Emotionen? Wie helfen die Elemente eines Kirchenraums einer Beterin dabei, sich zu fokussieren und sich auf ihr Gebet einzustellen? Welche Rolle spielt die Berührung eines Steins bei der Tradierung religiösen Gedächtnisses und der Konstitution einer religiösen Gemeinschaft? Wie wirkt Licht bei der Durchführung einer Marienprozession mit, wie weist es Bedeutung zu, wie wird es eingebunden in die Strukturierung religiöser Erfahrung? Diese und weitere Fragen werden in der Studie behandelt. Im Mittelpunkt stehen dabei Glaubensvollzüge von Pilgern, wie sie am Marienwallfahrtsort Lourdes und in der Grabeskirche in Jerusalem beobachtet werden können, sowie alltäglichere religiöse Praktiken wie Gebet und Rosenkranzandacht. Das empirische Material stammt aus teilnehmenden Beobachtungen, audio-visuellen Aufzeichnungen und Interviews.
Religiöse Praktiken sind dabei der exemplarische Fall, an dem grundlegende Einsichten in die materielle Dimension sozialer Praktiken im Allgemeinen gewonnen werden sollen. Die Studie nimmt hierfür die Theorie sozialer Praktiken von Theodore Schatzki, die sie als Werkzeug für eine detaillierte empirische Analyse sozialer Praktiken und ihrer materiellen Dimension nutzbar zu machen sucht, zum Ausgangs- und Referenzpunkt einer ethnografischen Praktikenforschung. Die Studie möchte damit in dreifacher Hinsicht einen Beitrag zur praxistheoretischen Diskussion leisten: Erstens geht es ihr um eine systematische Exploration und konzeptuelle Bestimmung des Verhältnisses zwischen sozialen Praktiken und materiellen Entitäten. Sie legt dabei einen erweiterten Materialitätsbegriff zurgrunde, der neben Artefakten auch Substanzen, natürliche Dinge und Umgebungen sowie flüchtigere Phänomene wie Licht oder Dunkelheit umfasst. Zweitens greift sie die Einsicht auf, dass sich Praktiken nicht nur über Bewegungen des Körpers verwirklichen, sondern sich auch auf der Ebene der Gedanken, Gefühle und Empfindungen ihrer Teilnehmer abspielen. Sie schlägt deshalb eine Erweiterung praxistheoretischer Forschungsperspektiven um mentale Aktivitäten und Lebenszustände vor, die sie als Komponenten solcher Praktiken versteht und in ihrer Bezogenheit auf den Gebrauch materieller Entitäten perspektiviert. Drittens diskutiert sie, wie sich Schatzkis sozialtheoretischer Ansatz für die ethnographische Forschung fruchtbar machen und methodisch umsetzen lässt.

 

Dr. Kornelia Engert

Zusammenfassung des Dissertationsprojekts (abgeschlossen)

The Body of Knowledge: Fieldwork, Concepts and Theory in the Social Sciences

In der Tradition der wissenschaftssoziologischen Laborstudien fragt das Projekt nach den kulturellen Bedingungen der Produktion wissenschaftlichen Wissens. Am Beispiel der Soziologie geht es davon aus, dass das forscherische Repertoire aus einer Reihe von Wissenspraktiken besteht, die auf je spezifische Weise dazu dienen, Artikulationen möglich zu machen. Entlang dieser Wissenspraktiken- wie u. a. sprechen, schreiben, denken - untersucht die Dissertation, wie und durch welche akademischen und forschungsbasierten Methoden die Vorstellung von der sozialen Welt praktisch in eine soziologische Darstellung der Welt transformiert wird. Akademisch und praktisch sind dabei nicht als Gegensatzpaar, ähnlich einer Kontrastfolie aus Theorie und Praxis zu verstehen; vielmehr soll gerade die akademische Wissensproduktion als alltägliche Praxis in den Blick genommen werden.
Die Studie fokussiert nicht fertiggestellte Forschungsprodukte, sondern erforscht die Situationen, in denen soziologisches Wissen erzeugt wird und in Bewegung ist - etwa bei der Herstellung und Interpretation empirischer Daten oder beim Schreiben eines soziologischen Aufsatzes. In diesen alltäglichen Situationen artikuliert und zeigt sich soziologisches Wissen in vorläufiger und suchender, tentativer und kreativer Weise (etwa im Rahmen von Data-Sessions, in denen empirisches Material interpretativ gedeutet wird, oder in Schreibsituationen, in denen passende Formulierungen durchgespielt werden). Formulieren und Gestikulieren, Hadern und Ringen um soziologische Ausdrucksweisen geben dabei Hinweise auf beobachtbare Methoden und Intensitäten einer Artikulationspraxis, die in ihrer Hervorbringung mündliche und schriftliche, körperliche und kognitive Repertoires nutzt.

Die Dissertation will empirisch zeigen, wie sich

- situierte Gesprächsdiskurse als methodische Erörterungen ausdrücken und erkennbar werden;

- forschende Subjekte zum Denken animieren und hierzu "€šcognitive devices" verwenden;

- Daten und Erkenntnisse sowie relevante Literaturbezüge in vielfach überarbeiteten Forschungspapieren festschreiben

 

Dr. Christiane Schürkmann

Zusammenfassung des Habilitationsprojekts

Toxische Objekte. Eine Soziologie der Entsorgung radioaktiver Abfälle

Moderne industrialisierte Gesellschaften haben in den vergangenen Jahrzehnten eine Vielzahl an Stoffen produziert, die von eben diesen Gesellschaften als giftig, schädlich, gefährlich und riskant für menschliches und nicht-menschliches Leben identifiziert und problematisiert worden sind. Hiernach erfordern diese Stoffe ein hohes Maß an Regulierung basierend auf naturwissenschaftlichen Forschungen, juristisch-politischen Verfahren, medialen Berichterstattungen sowie zivilgesellschaftlichem Engagement. Das in der Soziologie verortete Habilitationsvorhaben entwickelt eine theoretisch orientierte und zugleich empirisch fundierte Perspektive auf die Beziehungen zwischen Gesellschaften und ihren als schädlich ausgewiesenen stofflichen Fabrikationen. In Auseinandersetzung mit u.a. materialitätstheoretischen Ansätzen konzeptioniert das Habilitationsvorhaben diese Fabrikationen als toxische Objekte im Sinne von Verdinglichungen, die Gesellschaften in ihren als riskant bewerteten Aktivitäten und Wirksamkeiten herausfordern. Toxische Objekte konfrontieren Gesellschaften mit Fragen ihrer Kontrollierbarkeit und forcieren Politiken der Sicherheit. Vor dem Hintergrund einer relational angelegten Argumentation rücken folglich auch die Umgangsweisen mit diesen Objekten ins Zentrum der Untersuchung. Diese formieren sich nicht zuletzt in komplexen Vorhaben und Prozessen der Entsorgung, die gegenwärtig als Zusammenwirken technisch-naturwissenschaftlichen Wissens, politisch-rechtlicher Verfahren und zivilgesellschaftlicher Beteiligung beobachtbar werden.

Empirisch konzentriert sich das Habilitationsprojekt auf einen Fall, der sich unter anderem in Deutschland durch eine konfliktbehaftete Historie, eine intensivierte naturwissenschaftliche Forschung und die Etablierung gesetzlicher Verfahren auszeichnet: die Entsorgung (hoch) radioaktiver Abfälle. Anhand dieses Falls wird untersucht, wie Gesellschaften ‚entsorgungsrelevantes‘ Wissen und Nichtwissen über die zu entsorgenden  Objekte – hier radioaktive Abfallstoffe – produzieren und wie sie dieses Wissen und Nichtwissen weitergehend legitimieren und prozessieren. Dabei treten in der empirischen Analyse besonders Fragen nach den Verhältnissen zwischen Gesellschaft, Technik und Natur hervor. So werden Endlagerszenarien nicht allein auf Basis technischer Lösungen entwickelt, sondern vor allem durch die Grundlegung geologischer Formationen. Im Sinne einer in der Endlagerforschung als stabil vorausgesetzten Natur sind es demnach unterirdische Gesteine, die die radioaktiven Abfälle für hunderttausende von Jahren beherbergen sollen. Endlagerung als soziotechnisches Projekt ist folglich eingebettet in soziogeologische Prozesse, in welchen der Untergrund als Instanz der Entsorgung systematisch eingespannt wird.

Unter Einbezug ethnografischer Ansätze, kombiniert mit Interviewforschung und Dokumentenanalyse veranschlagt das Habilitationsvorhaben ein qualitativ-soziologisches Design, das den Produktionsstätten bzw. Produzierenden von ‚entsorgungsrelevantem‘ Wissen und Nichtwissen folgt: Teilnehmende Beobachtungen in naturwissenschaftlichen Laboratorien der Geologie und Kernchemie (national und international), Interviews mit Mitgliedern federführender Forschungseinrichtungen, Organisationen und Gremien im Rahmen der Endlagerung und Standortauswahl, sowie die Teilnahme an relevanten wissenschaftlichen Kolloquien und Konferenzen der Endlagerforschung werden diesem soziologischen Habilitationsprojekt zur Entsorgung radioaktiver Abfälle zur Ressource.

 

Zusammenfassung des Dissertationsprojekts (abgeschlossen)

Kunst in Arbeit. Künstlerisches Arbeiten zwischen Praxis und Phänomen

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Das Dissertationsprojekt untersuchte aus ethnografischer Perspektive künstlerisches Arbeiten im Feld der bildenden Kunst. In Kunstakademien und Kunsthochschulen, Ateliers und Ausstellungen nahm die Studie in den Blick, wie KünstlerInnen mit Materialien umgehen, wie künstlerische Arbeiten für Ausstellungsprojekte entwickelt werden und wie die entstehenden Kunstwerke von KünstlerInnen beurteilt werden. Die Studie schloss dabei an praxistheoretische Ansätze an, ergänzt um die Phänomenologie Maurice Merleau-Pontys mit dem Ziel, neben dem praktischen Wissen auch das Wahrnehmen in seinen Vollzügen einzubeziehen, um künstlerische Zugänge zum Sprechen zu bringen und für die Soziologie weitergehend zu erschließen

 

Christina Gabriele Bert

Zusammenfassung des Dissertationsprojekts

Geistesgegenwart. Sprechen in Metaphern in spirituellen Konversions- und Kommunikationskontexten

Das Dissertationsprojekt interessiert sich für den Zusammenhang zwischen dem Sprachlichen und verschiedenen Dimensionen des Religiösen. Insbesondere beschäftigt es sich mit verschiedenen Formen alternativer Religiosität, wie sie gegenwärtig im Bereich der Esoterik zu beobachten sind. Ausgangspunkt ist die Annahme, dass Sprache respektive die Praxis des Sprechens eine konstitutive Wirkung bei der Erzeugung alternativer Weltbilder, Wirklichkeitsvorstellungen und Kosmologien einnimmt. Vor diesem Hintergrund werden verschiedene esoterisch konnotierte Kommunikationskontexte aufgesucht und danach gefragt, in welchen konkreten Ausdrucksformen die Inhalte und Erfahrungen esoterischer Weltanschauungen artikuliert, kommuniziert und legitimiert werden. Ein methodischer Schwerpunkt liegt dabei auf der systematischen Rekonstruktion von Metaphern, die für den esoterischen Sprachjargon als konstitutiv angesehen werden. Das Dissertationsprojekt verortet sich an der Schnittstelle zwischen Religionssoziologie und Linguistik, es greift auf Konzepte aus der Konversionsforschung zurück und verbindet diese mit sprachsoziologischen und erzähltheoretischen Annahmen.

Anna Dorn

Zusammenfassung des Dissertationsprojekts

Substanzen, Elemente, Vermischungen. (Außer-)Schulische Chemieexperimente und ihre Zeichenrepräsentation (Arbeitstitel)

Verschiedene Forschungen haben in den letzten Jahren die Bedeutung von technischen Artefakten in ganz verschiedenen Bereichen belegt: im privaten Leben, in professionellen Kontexten und in der Technik- und Wissenschaftsforschung selbst. Die Konzentration auf diese Artefakte hat andere Materialitäten (etwa Substanzen, Organismen, Natur) in den Hintergrund treten lassen. Mit der neuen Materialitätsforschung geht diese Dissertation von einem breiteren Materialitätsbegriff aus und untersucht die Rolle von Substanzen und Elementen in (außer-)schulischen Chemieexperimenten sowie ihre Übersetzung in die Schrift der chemischen Gleichung. Die Dissertation untersucht empirisch, wie das Personal der Organisation (Lehrkräfte) und die Insassen der Organisation (Schüler/innen) mit Substanzen, Elementen, Objekten und Zeichen umgehen, welche Bedeutungen ihnen zugeschrieben werden, wie sie in ihrer Wechselwirkung erkannt und diskursiv begleitet werden.

Die mitunter sehr komplexen (außer-)schulischen Chemieexperimente stellen ein Konglomerat aus Handgriffen, Fachwissen, technischen Dingen sowie Substanzen und Elementen dar. Die Dissertation untersucht dieses Zusammen-Wirken und will das Spannungsverhältnis des Agierens und Reagierens mit und durch Substanzen explizieren. Hierzu gehört auch, Substanzen als Hervorbringung durch Darstellung (Rheinberger) zu beobachten, denn durch Farb- und Geruchsänderungen geben sie bestimmte Informationen preis, die durch die Teilnehmer sinnlich erfahren werden. Von besonderer Bedeutung für die Chemieexperimente ist aber auch die Generalisierung durch Zeichen: Die Reaktionsgleichung überführt den flüchtigen Versuch in etwas Gehärtetes, Überprüfbares und Diskursfähiges. Die Substanzen und ihre Reaktionen werden in Zeichen und Symbole transformiert, an die weitere Experimente anschließen können. Die Dissertation schließt theoretisch an die Social Science of Teaching and Education sowie an die neuere Materialitätsforschung und ihren Praxisbegriff an.

 

Dr. Lisa Alexandra Henke

Zusammenfassung des Dissertationsprojekts (abgeschlossen)

Sorgebeziehungen als Grenzen der menschlichen Welt (Arbeitstitel)

Kennzeichnend für das Leben des Menschen ist das Verhältnis zu sich selbst und zu anderen, zu den Artefakten und Dingen, die ihn umgeben, und zur Welt (Natur, Umwelt, Kosmos), in der er lebt und existiert. Diese Verhältnisse versteht das Dissertationsprojekt allgemein als Selbst-Weltverhältnisse. Die Überwindung dualistischer, als überholt geltender, konflikthafter Grenzziehungen zwischen Selbst und Welt erscheinen besonders in spezifisch utopischen Aufladungen von post- und transhumanistischen sowie in modernen gesellschaftspolitischen Nachhaltigkeitsdebatten in neuem Einklang. In den Geistes- und Sozialwissenschaften hat sich in den letzten Jahren ein Diskurs (vgl. Latour, Haraway, Bennett, Braidotti) um eine Hybriditätskategorie herausgebildet, der durch ein zugrundliegendes Konzept von radikaler Relationalität gekennzeichnet ist, die jegliche Bereiche (Selbst, Umwelt, Dinge etc.) durchzieht und miteinander vereint. Im Zuge dieser allgemeinen Dezentrierung des Humanen wird derzeit auch der Begriff der Sorge rehabilitiert: Posthumanistische Auseinandersetzungen entwerfen im Kontext von Care-Debatten, insbesondere in den STS, ein Konzept von Welt- und Dingsorge, welches eine Ausweitung des Verständnisses von Care auf Tiere, Technik, Dinge sowie (Um-) Welt beinhaltet und diese somit nicht nur als Objekte von (menschlicher) Sorge auffasst, sondern selbst als ‚caregivers‘ erscheinen lässt.
Ziel des Dissertationsprojektes ist es, einen analytischen Blick auf das Phänomen der Sorge zu werfen und eine dialektische Neubestimmung des Sorgebegriffs entlang seiner Grenzen, Konflikte und Distanzen – im Sinne einer Re-Spezifizierung des Humanen (Plessner) – und nicht seiner Relationalität, Verbundenheit und Auflösung vorzunehmen. Dadurch kann einer Homogenisierung der Kategorie des Humanen sowie einer Verschleierung spezifischer Machtverhältnisse kritisch begegnet werden, welche bei der Fokussierung auf das Posthumane mitschwingen. Ein besonderes Augenmerk wirft die Dissertation dabei auf Sorgebeziehungen, Sorge-Praktiken sowie die Objekte/Dinge der Sorge. Folgende Fragstellungen sind für das Projekt erkenntnisleitend: Welche wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Diskurse über Sorge lassen sich rekonstruieren und wie sind sie aufeinander bezogen? Welches Verhältnis von Selbst/Mensch und Welt/Umwelt/Dingen kristallisiert sich in Diskursen und Praktiken heraus? Wie gestalten sich Interferenzen oder Grenzen zwischen den verschiedenen Sorgeformen (Selbst-, Für-, Welt-, Dingsorge)?
Auf einer theoretisch-konzeptionellen Ebene schließt das Projekt an posthumane Theorien sowie Ansätze der philosophischen Anthropologie an.

 

Georg Kolbeck 

Zusammenfassung des Dissertationsprojekts

Die Zeichen und die Dinge der theoretischen Physik (Arbeitstitel)

Die zeitgenössische Physik ist häufig mit der empirischen Unverfügbarkeit ihrer Gegenstände konfrontiert. Insbesondere in den Bereichen, die mit dem theoretischen Problem der einheitlichen Beschreibung von Quantenphysik und Gravitation (Quantengravitation) befasst sind, liegen die theoretisch angenommenen Entitäten oft jenseits möglicher Experimente. Hierbei erfährt die Mathematik als zentrales Modellierungs- und Erkenntnisinstrument der theoretischen Physik eine zusätzliche Aufwertung: Nicht nur gehen die Gegenstände des physikalischen Interesses erst aus mathematisch verfassten Theorien hervor, vielmehr stellen mathematische Theorien und Zeichen den einzigen Zugriff auf diese Gegenstände dar.
Die empirisch-theoretische Dissertation fragt in Anlehnung an soziologische Laborstudien nach der Erkenntnispraxis der theoretischen Physik. Theoriearbeit wird hier also nicht als eine rein „geistige“ Tätigkeit verstanden, stattdessen wird dem sozialen Charakter der Forschungspraxis sowie der konstitutiven Bedeutung von Zeichensystemen und Kulturtechniken (Repräsentationen, Simulationen, etc.) empirisch und analytisch Rechnung getragen. Zugleich bringt die Arbeit das theoretisch-physikalische Denken als Gegenstand nicht durch seine vollständige Auflösung in soziale und symbolische Praktiken zum Verschwinden, sondern nimmt es vor dem Hintergrund seiner Vermitteltheit wissenssoziologisch ernst.

 

Hannah Link

Zusammenfassung des Dissertationsprojekts

‚Menschlichkeit‘ und ‚der Mensch‘. Implikationen des Humanen in der Sozialrobotik. (Arbeitstitel)

Unter dem Vorzeichen des Posthumanismus und den Praxistheorien wird gegenwärtig diskutiert, inwiefern Nicht-Menschen in soziologische Untersuchungen integriert werden können. Während die Gründerväter der Soziologie das menschliche Subjekt als Ausgangspunkt und Fokus ihrer Analyse verwendeten, geht es nun darum den soziologischen Blick zu adjustieren: Materielle Artefakte, Tiere und ökologische Prozesse geraten ebenso in Verdacht, als Ausgangspunkt einer Handlung zu stehen, wie der Mensch. Menschen und Nicht-Menschen werden auf diese Weise symmetrisiert und in diesem Zuge entweder als miteinander vernetzt oder als sich gegenüberstehende Akteure beschrieben. In diesem Zusammenhang fragt das Dissertationsprojekt, wie der ‚Mensch‘ in der alltäglichen Praxis als solcher konstituiert wird. Die leitende Annahme ist, dass weder ‚der Mensch‘ noch der ‚Nicht-Mensch‘ natürlichen, unumgehbaren Tatsachen unterliegt, sondern als Produkt sozialer Ordnungsleistungen zu verstehen ist. Gegenstand der Dissertation ist die empirische Analyse der Differenzierung zwischen Mensch und Nicht-Mensch am Fall der Robotik. Im Zentrum stehen humantheoretische Annahmen über ‚den Menschen‘ und die informationelle und maschinelle Implementierung dieser Annahmen in die Gestalt von humanoiden Robotern. Die leitende Frage ist, wie genau die Unterscheidungen zwischen Menschen und Maschinen in der Fertigung vollzogen werden und in welcher Weise Roboter mit diesem Unterscheidungswissen induziert sind. Das Dissertationsprojekt schließt an wissenssoziologische und differenzierungstheoretische Studien an und leistet einen Beitrag zu einer Theorie des Humanen.

 

Vanessa Wein

Zusammenfassung des Dissertationsprojekts

Digitale Choreografie. Praxis- und Zeitentwurf in Online-Welten

Jeder Nutzer des Internets hinterlässt unweigerlich Spuren über sich selbst (Wer?), über den Standort (Wo?), den Zeitpunkt (Wann?) und den Zeitraum der Nutzung (Wie lange?). Diese Spuren – d.h. schriftliche Protokolle – zu erzeugen, sie zu Daten zu verdichten und lesbar darzustellen, ist die Aufgabe automatisierter Analysetools. Mit ihnen ist es möglich, zu beobachten, wie Menschen Webseiten nutzen. Analysetools sind mit theoretischen Überlegungen angereicherte Fabrikate oder materialisierte Theoreme, welche diese Beobachtung ermöglichen und zugleich deren Ergebnisse rahmen. Aus Perspektive einer Soziologie der Sozio-Materialität rücken sowohl Entwurf und Fertigung des Analysetools als auch seine Verwendung und Wirkung in den Blick.

Gegenstand der Dissertation ist die durch Analysetools vermittelte virtuelle Beobachtung von Verwendungspraktiken des Internets. In Anlehnung an theoretische wie empirische Überlegungen der Wissenschafts- und Finanzsoziologie zur Produktion und Repräsentation von Expertenwissen untersucht die Studie, erstens, wie der ‚Weiteraum‘ (Lindemann) des Internets designt und alltäglich genutzt wird, zweitens, wie diese alltägliche Nutzung beobachtet wird und drittens, wie die Beobachtungsergebnisse in das Design der Internetseiten mit dem Ziel zurückfließen, die Verweildauer der Nutzer auf den jeweiligen Seiten zu erhöhen. Wie also wird die Steuerung von Nutzerströmen über die Zeit auf die jeweilige Internetseite vorgenommen? Wie wird die Nutzung so vor-entworfen, dass die Affordanz der Seite unbemerkt die Praxis der Internetnutzung zeitlich rahmen kann? Welche Rolle spielen Algorithmen und wie sind sie gebaut? Die Studie schließt u.a. an mediensoziologische und materialitätstheoretische Ansätze in der Soziologie an und leistet damit einen Beitrag zur Analyse des Nutzungs- und Zeitmanagements von Online-Praktiken.